Das mittelalterliche Kloster in Berlin-Kölln
Schon im Mittelalter gab es in Berlin ein Dominikanerkloster. Dieses wurde auf dem Generalkapitel 1297 in Venedig als Konvent für die Provinz Teutonia angenommen – d.h. es musste zwölf Ordensleute mit einem Prior und einem Lektor haben. Diese Gründung geschah verhältnismäßig spät, denn in der Mark Brandenburg gab es vorher schon Niederlassungen in Neuruppin (1246), Strausberg (1254), Seehausen (1255), Prenzlau (1275), Soldin (1275) und Brandenburg (1287). Die Dominikaner, wegen ihres schwarzen Mantels über dem weißen Habit Schwarze Brüder genannt, ließen sich auf dem linken Spreeufer, nahe der köllnischen Stadtmauer, auf dem späteren Schlossplatz, nieder und erbauten dort Kirche und Kloster. 1478 wurde für einige Jahre das Generalstudium von Magdeburg nach Berlin verlegt. Der Konvent besaß auch eine bedeutende Bibliothek, von der einige Bände in die Berliner Staatsbibliothek übergegangen sind. Viele Schenkungen und Urkunden bezeugen, welch bedeutsame Stellung die Dominikaner in der Stadt besaßen.
Kurfürst Friedrich II. siedelte 1451 mit seinem Hof von Berlin in das neue Schloss nach Kölln über, das er in unmittelbarer Nachbarschaft der Dominikaner erbaut hatte. Mehr und mehr wurde die Dominikanerkirche von der kurfürstlichen Familie für ihre religiösen Erfordernisse in Anspruch genommen, sie wurde praktisch zur Hofkirche.
Kurfürst Joachim II. löste 1535 den Dominikanerkonvent mit päpstlicher Erlaubnis auf, um sich anstelle der Schlosskapelle eine Domkirche mit Domkapitel zu errichten. Zwei Dominikaner nahm er in das Domkapitel auf, die anderen mussten in das Brandenburger Kloster umsiedeln. Die Kirche ließ der Kurfürst reich ausstatten, und 1536 wurde der erste Berliner Dom eröffnet. Die Dominikaner-/Domkirche, etwa 1345 erbaut und dem Völkerapostel Paulus geweiht, war eine dreischiffige, gotische Hallenkirche. Das Langhaus maß 44,5 Meter in der Länge und 18,2 Meter in der Breite; daran schloss sich der Chor von 12,15 Meter Länge und 8,95 Meter Breite an. Da die Ordenskirche nur einen Dachreiter besaß, wurden durch Joachim II. neue Türme erbaut. Wegen Baufälligkeit wurde die Kirche 1747 abgebrochen, die Reste der Klosterbaulichkeiten hatte man schon 1716 beseitigt.
Kirchliches Leben in der Mark Brandenburg
Der Wiederaufbau katholischer Gemeinden in der Mark Brandenburg und in Pommern geht auf die Dominikaner zurück. In der protestantischen Mark war der Aufenthalt katholischer Priester unter Strafe strengstens verboten. Jeder öffentliche katholische Gottesdienst untersagt. Dennoch konnten Jesuiten von Zeit zu Zeit geheim in die Mark einreisen und den Katholiken die Sakramente spenden. Der Große Kurfürst schrieb in seinem Testament 1667: „Die Kur Brandenburg ist gottlob von päpstlichen Gräueltaten und Abgötterei gänzlich befreit.“ Nach geltendem Völkerrecht musste er jedoch zulassen, dass die französische und österreichische Gesandtschaft in Berlin Hauskapellen einrichteten, in denen für den Gesandten und seine Mitarbeiter die Messe gefeiert wurde. Aber allen anderen in Berlin lebenden Katholiken, die nicht zur Gesandtschaft gehörten, war es strengstens verboten, an diesen Gottesdiensten teilzunehmen.
Die ersten Gesandtschaftskapläne waren wohl keine Dominikaner. Eine Urkunde vom 21. April 1679 erwähnt einen Priester aus Halberstadt, der nach Berlin gekommen sei, um Gottesdienst zu halten – ein Dominikaner des dortigen Konventes? Tatsache ist, dass etwas später Dominikaner aus Halberstadt in Berlin wirkten und dort auch die einzigen katholischen Priester waren. Der König ließ nur Dominikaner aus Halberstadt als Seelsorger zu, weil dieser Konvent in seinem Herrschaftsbereich lag.
Militärseelsorge durch dominikanische Patres
Da König Friedrich Wilhelm I. auch in katholischen Gebieten Soldaten anwerben ließ, musste er diesen freie Ausübung der Religion und seelsorgerische Betreuung versprechen. 1719 richtete er den Berliner Katholiken in der Krausenstraße eine Kapelle ein und zahlte für den Unterhalt eines Paters. P. Dominikus Torck, bis dahin Kaplan der kaiserlichen Gesandtschaft, erhielt als erster ständiger Geistlicher in Brandenburg und Pommern 1722 sein Anstellungsdekret als katholischer Priester bei den königlichen Truppen. Der König hatte das Recht, die Patres zu berufen und zu entlassen. Er duldete keine Jurisdiktion eines kirchlichen Vorgesetzten, da er seine Stellung als Summus Episcopus auch in Bezug auf die Katholiken verstand. Auch König Friedrich II. wollte nur Dominikaner aus Halberstadt als Feldkapläne für sein Heer haben. So zogen z.B. im ersten Schlesischen Krieg 1741 neben P. Raymund Bruns fünf weitere Dominikaner mit der königlichen Armee.
Errichtung Katholischer Gemeinden in Berlin
Neben der Gemeinde, die sich um die Kapelle in der Krausenstraße gruppierte und die dann später die St. Hedwigskirche erhielt, entstanden im 18. Jahrhundert noch weitere katholische Gemeinden in Berlin. König Friedrich II. ließ 1747/48 das Invalidenhaus in der Scharnhorststraße erbauen, mit einer evangelischen und einer katholischen Kapelle. Letztere erhielt als Patron den hl. Sebastian. Am 23. September 1748 gab der König dem Obersten von Retzow den Auftrag: „Zum katholischen Prediger habt ihr einen von den Caplans, welche ich dem P. Torck schon bezahlen lasse, auszusuchen und einen guten, ruhigen und stillen Menschen auszusuchen.“ Als erster Seelsorger am Invalidenhaus wurde im November 1748 P. Dominikus Pauli aus Halberstadt angestellt. Die Reihe der Dominikaner in dieser Stellung schloss P. Walter Rüther aus Warburg ab, der sich 1821 nach einer langen und segensreichen Tätigkeit in den Ruhestand versetzen ließ.
Neben der Invalidengemeinde hatte sich eine Zivilgemeinde an dieser Kirche gebildet, die 1860 selbständige Pfarrei wurde. Zu dieser Pfarrei (St. Sebastian) gehörte auch Moabit, so dass sich die Dominikaner vor hundert Jahren in einer Gemeinde niederließen, die noch wenige Jahrzehnte vorher von ihren Mitbrüdern betreut worden war. König Friedrich Wilhelm I. errichtete zum Ausbau seiner Militärmacht Gewehrfabriken. Für die Fabriken in Potsdam und Spandau ließ er belgische Gewehrarbeiter aus Lüttich anwerben. Diese hatten als erste Bedingung freie Ausübung ihrer Religion gestellt. Als sie 1723 in Potsdam eintrafen, hatten sie sich ihren Seelsorger mitgebracht, den belgischen Dominikaner Ludwig Belo, der allerdings dem Konvent in Wesel angehörte. Als der König die Arbeiter begrüßte und den katholischen Priester unter ihnen sah, fragte er erstaunt: „Was will er denn hier?“ Die Belgier wiesen auf die ihnen zugestandene freie Ausübung ihrer Religion hin. Der König sagte schließlich: „Gut, dann kann er auch meine katholischen Soldaten pastorieren.“ Ein Jahr später ließ ihnen der König auf dem Hofe der Gewehrfabrik eine Kirche bauen. Da die Zahl der katholischen Soldaten ständig anwuchs, erhielt P. Belo 1729 einen anderen Pater als Mitarbeiter. Als letzter Dominikaner wirkte P. Heinrich Föllmer von 1796 bis zu seinem Tode im Jahre 1830 in der Residenzstadt.
P. Ludwig Belo musste von Potsdam aus auch die Arbeiter der Gewehrfabrik und die Soldaten in Spandau betreuen. Da die Zahl der Katholiken dort immer mehr zunahm, erhielt Spandau 1727 in P. Bernardin Hunckemüller aus dem Dominikanerkloster Halberstadt einen eigenen Seelsorger. Auf ihn folgten vier Patres aus verschiedenen Konventen der Provinz Teutonia. Der letzte war P. Joseph Groß aus Halberstadt, der von 1775 bis zu seinem Tode am 5. April 1825 unter den schwierigsten Verhältnissen auf seinem Posten ausgeharrt hat. Sein Grabkreuz steht heute noch neben der Marienkirche in Spandau.
Weitere Entwicklung im 18. Jahrhundert
Der bekannteste Dominikaner, der im 18. Jahrhundert in Berlin wirkte, war P. Raimund Bruns. Er wurde am 3. Januar 1706 in Hannover geboren und trat am 2. September 1723 in den Dominikanerorden ein. Im Februar 1731 kam P. Bruns nach Potsdam zur Unterstützung des erkrankten P. Belo. Nach dem Tode P. Belos ernannte König Friedrich Wilhelm P. Bruns am 13. Dezember 1731 zum ersten Prediger in Potsdam. P. Bruns musste die katholischen Soldaten der Leibgarde betreuen, die der Stolz des Königs war. Ein freundschaftliches Verhältnis verband König und Priester, was der letztere sehr zugunsten seiner Gemeinde ausnutzte. P. Bruns entfaltete eine segensreiche Tätigkeit unter den Soldaten aus aller Welt und unter der katholischen Zivilbevölkerung weit über die Grenzen seines Seelsorgebereiches hinaus.
In Potsdam und anderen Orten führte er seit 1736 Rosenkranzbruderschaften ein. „Ich ließ zu diesem Zweck zu Potsdam ein Bruderschaftsbuch drucken, worin die gebräuchlichsten Lieder enthalten waren. Diesem Buche fügte ich in einem Anhang noch andere hier übliche Gesänge bei, um beim Gottesdienst mehr Gleichförmigkeit und Übereinstimmung zu erzielen“, heißt es in seinem Tagebuch. P. Bruns verfasste 1738 ein Catholisches Unterrichtungs-, Gebeth- und Gesangbuch, das die Genehmigung des Königs erhielt, in Rom ins Lateinische übersetzt und approbiert wurde. Das Buch wurde in Berlin und Halberstadt von 1738 bis 1844 vierzehnmal aufgelegt. Ohne Wissen von P. Bruns erschienen dazu zwischen 1740 und 1748 noch sechs weitere Ausgaben in allen Teilen Deutschlands. Für die Mark Brandenburg war das Buch das erste systematische Glaubenswerk nach der Reformation und hat wesentlich zum Wachstum des Katholizismus in Berlin beigetragen.
Bereits 1739 erschien der Katechismus oder Katholische Glaubens-Unterrichtung zum Gebrauch der Jugend in den Missionen der Königlichen Preußischen Länder in kurzen Fragen verfasset von P. Raymund Bruns. Dieser kleine Katechismus erhielt 1799 in Halberstadt die dreizehnte Auflage. 1769 folgte noch P. Raimund Bruns, Magisters der Gottesgelehrtheit, Katholisches Glaubensbekenntniß. Erklärt, geprüft und bewiesen aus der hl. Schrift und der Vernunft. Bei der letzten Auflage dieses Werkes schrieb der Fürstbischöfliche Delegat und Propst zu St. Hedwig in Berlin, Brinkmann, am 16. Juli 1846: „Das Buch von P. Raimund Bruns … ist in seiner Vortrefflichkeit viel zu bekannt, als dass es unserer Empfehlung bedürfte“.
Natürlich musste die regsame Tätigkeit des Paters seine Gegner unter den protestantischen Predigern herausfordern. Solange der Soldatenkönig lebte, brauchte er nichts zu fürchten. Das änderte sich aber mit dem Regierungsantritt Friedrichs II. im Jahre 1740. Seine Gegner erreichten es, dass ihn der König am 4. Oktober 1742 ins Gefängnis werfen ließ. Er wurde verurteilt in Spandau, „in Ketten bei Wasser und Brot den Karren zu führen“. Den Fürsten, die sich für P. Bruns einsetzten, antwortete der König: „Ich weiß, dass der Pater nichts gemacht hat, denn hätte er irgend etwas Unrechtes begangen, würde ich ihn aufgehängt haben. Ich will aber diesen Pfaffen und Mönchen zeigen, dass ich sie bezwingen kann.“
Am 2. August 1743 wurde P. Bruns freigelassen. Er kehrte in sein Kloster nach Halberstadt zurück, wo ihn der Konvent zwei Jahre später zum Prior wählte. Von dort aus wirkte er noch viel für die katholischen Gemeinden in der Mark, besonders durch seine Schriften. Er starb im Mal 1780 als Propst des Dominikanerinnenklosters Paradies bei Soest.
Die Dominikaner und die Hedwigskirche
Im Jahre 1746 kam der ehemalige Karmelit Eugenio Mecenati, ein gerissener Hochstapler, nach Berlin. Er verstand es, Friedrich II. für den Bau einer katholischen Kirche zu gewinnen. Der König erteilte am 22. November 1746 die Erlaubnis zum Bau der Kirche und schenkte auch das Grundstück dafür. Am 12. Juli 1747 wurde der Grundstein gelegt. Für die Baukosten mussten die Katholiken freilich selbst aufkommen. Der König bestellte aber Direktoren, die den Bau leiteten, während die Seelsorger zunächst vollständig ausgeschaltet waren. Für diesen Kirchenbau wurde in der ganzen Welt Geld gesammelt.
In den Jahren 1747 bis 1750 kam viel nach Berlin, was nach Meinung von P. Bruns ausgereicht hätte, um den Bau fertigzustellen. Aber die Direktoren sorgten zuerst für ihre eigene Tasche. Die Patres in Berlin hatten keinen Einblick in die Kollekten und ihre Verwendung. Im Jahre 1750 mussten die Bauarbeiten eingestellt werden, weil das Geld fehlte. Die Direktoren schlugen daher dem König vor, die Fertigstellung den Dominikanern zu übertragen. Der König willigte ein und versprach, nach der Fertigstellung sollte die neue Kirche dem Konvent in Halberstadt gehören; den Dominikanern sollte es erlaubt sein, in Berlin ihren Habit zu tragen. Weiter versprach der König die Pfarrrechte. Nachdem der Ordensgeneral Antonius Bremond einen wohlwollenden Brief des preußischen Königs erhalten hatte, richtete er am 6. Januar 1751 ein Schreiben an den ganzen Orden in allen vier Erdteilen, in dem er zur Kollekte für die St. Hedwigskirche aufforderte, und reiche Spenden flossen in den Jahren 1751 bis 1754 dem Kirchbau zu. Der Ordensgeneral stand auch der allgemeinen Kollekte in Frankreich, Spanien und Portugal vor. Der Orden selbst sandte einmal 5000 Taler. P. Pauli in Berlin stiftete 103 Taler. 1753 schickte der Ordensgeneral 2655 Taler nach Berlin und 1387 Taler im Jahre 1754. Es folgten vom Orden noch einmal 975 Taler. P. General Bremond starb aber leider im Jahre 1755.
Am 4. März 1755 wandten sich die Direktoren der Kirche an P. Bruns, Prior in Halberstadt, mit der Bitte, ob er nicht für die Vollendung der Kirche sorgen könne, da er in ganz Europa bekannt sei. P. Bruns war dazu bereit, aber forderte als Bedingungen: die Pfarrrechte, die Oberaufsicht über den Kirchbau und die Rechenschaft über die bisher verwandten Gelder. Er wies darauf hin, dass 1754 P. Gundislav Riepe, weil er ein Kind katholischer Eltern öffentlich getauft hatte, mit 15 Reichstalern bestraft wurde, mit der Begründung, dass die Pfarrrechte erst mit Vollendung der Kirche erteilt würden. Doch er erhielt darauf keine Antwort. Auch der Krieg verzögerte sehr den Kirchbau.
Erst am 1. November 1773 konnte Bischof Graf von Krasicki von Ermland die Kirche weihen. P. Heinrich Elberfeld, seit März 1773 erster Missionar in Berlin, übernahm mit seinen Mitarbeitern die neue Kirche. Der erste Missionar in Berlin (Missionarius Primarius Berolini) stand allen Geistlichen in Brandenburg und Pommern vor. Die Behörden erließen durch ihn Anordnungen an die anderen Priester. Er führte den Titel Propst, der aber nicht von einer kirchlichen Verleihung herrührte, sondern ein königlicher Titel war mit Rücksicht auf seine Stellung als Soldatenseelsorger (Praepositus campestris). Nach dem Tode P. Torcks im Jahre 1755 war P. Amandus Jennes bis 1773 erster Missionar in Berlin. Auf P. Eiberfeld folgte Franziskus Kirchhoff, der 1799 starb. Als letzter Dominikaner wurde P. Augustinus Wegerich 1799 Propst an St. Hedwig. Im Herbst 1806 legte er sein Amt nieder, da das Kloster zu Halberstadt nun nicht mehr zum preußischen Staat gehörte. Er starb am 5. Januar 1810 in Berlin.
Die Dominikaner, die in Berlin starben, wurden in der Krypta von St. Hedwig beigesetzt. Die westfälische Regierung hob 1810 den Halberstädter Konvent auf. Die einzelnen Patres blieben noch bis zu ihrem Tode bei ihren Gemeinden. Aber da in ganz Deutschland die Klöster aufgelöst worden waren, hatten sie keine Nachfolger mehr aus dem Dominikanerorden. In der Erinnerung aber lebten die Dominikaner noch weiter. Als P. Dominikus Lentz, der 1860 in Düsseldorf das erste Kloster nach der Säkularisation gegründet hatte, im Dezember 1864 über Berlin nach Posen reiste, konnte er das feststellen. In Potsdam erneuerte er die von P. Bruns 1736 errichtete Rosenkranzbruderschaft und fand dessen Gedächtnis noch in lebendiger Hochschätzung vor. Das gleiche konnte P. Ceslaus von Robiano dem P. General berichten.
Die Dominikanerkehren nach Berlin zurück
Die Wiedergründung des Dominikanerklosters in Berlin ist das Werk von P. Ceslaus von Robiano. P. Ceslaus wurde am 30. Mai 1829 in Brüssel als Sohn des belgischen Grafen Ludwig von Robiano Borsbeck und der deutschen Gräfin Amalie zu Stolberg-Stolberg, einer Tochter des großen Konvertiten Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg geboren. In Löwen hatte der junge Graf Alfred Maria von Robiano den Doktor der Rechte erworben und trat am 1. November 1856 in Flavigny (Frankreich) in den Orden ein. Nach seiner Profess studierte er in Löwen und empfing dort am 22. Dezember 1860 die Priesterweihe. Da er vom Ordensgeneral für die wiederzuerrichtende deutsche Ordensprovinz bestimmt war, kam er im Sommer 1862 nach Düsseldorf, wo P. Dominikus Lentz am 18. Januar 1860 eine Niederlassung des Dominikanerordens gegründet hatte.
P. Ceslaus in Berlin
Im März 1866 unternahm P. Ceslaus eine Bettelreise durch Deutschland und Österreich, um das notwendige Geld für den Bau der Kirche und des Klosters in Düsseldorf zu beschaffen. Am 21. März schrieb er aus Berlin an den Ordensgeneral, einflussreiche Persönlichkeiten, darunter Missionsvikar Eduard Müller, drängten ihn, in der preußischen Hauptstadt ein Kloster zu gründen. Dem Ordensgeneral gefiel dieser Plan sehr, er erlaubte eine provisorische Entsendung des P. Ceslaus nach Berlin, warnte aber vor phantastischen Projekten, zu denen P. Ceslaus neigte. Der zuständige Bischof, Fürstbischof Heinrich Förster von Breslau, zeigte sich sehr erfreut über eine eventuelle Gründung in Berlin. Allerdings antwortete der Propst Karker von St. Hedwig auf Anfrage des Bischofs, dass in Berlin kein Bedürfnis für ein Männerkloster bestehe.
Kurze Zeit nach Ausbruch des Krieges zwischen Preußen und Österreich am 16. Juni 1866, kam P. Ceslaus auf der Reise von Wien nach Düsseldorf wieder nach Berlin. Dort bot er sich als Lazarettgeistlicher an, besonders für die verwundeten Italiener, die in der österreichischen Armee gedient hatten und die keinen Priester hatten, der ihre Sprache verstand. Der Feldpropst übertrug ihm am 21. Juli die Seelsorge in den Lazaretten Pionierstraße und Schützenkaserne, dazu für alle Italiener in Berlin und Umgebung. P. Ceslaus wohnte in der Kaiser-Franz-Kaserne auf der Hasenheide und las dort täglich die hl. Messe. Auf seiner Kappa trug er ein rotes Kreuz auf weißem Grund, damit die Bevölkerung den Zweck seines Aufenthaltes erkenne. In dieser Zeit traf P. Ceslaus auch mit der Königin Augusta zusammen, die sich persönlich sehr um die Lazarette kümmerte. Sie lobte und unterstützte seine Tätigkeit.
Nach Kriegsende verlangte P. Dominikus Lentz die Rückkehr des Paters nach Düsseldorf. Aber P. Ceslaus erreichte es beim P. General, dass er provisorisch in Berlin bleiben konnte, um die Möglichkeiten einer Gründung zu prüfen. So ließ er sich am 18. September mit der Seelsorge im Garnisionslazarett in der Scharnhorststraße beauftragen. Nach langem Hin und Her entschied der Ordensgeneral P. Vincent Jandel im Januar 1867, dass P. Ceslaus in Berlin bleiben dürfe, um eine Ordensniederlassung zu gründen. Auch die Königin äußerte den Wunsch, der Pater möge in Berlin bleiben. P. Ceslaus erwarb deshalb auch die preußische Staatsbürgerschaft.
Errichtung einer Kapelle in Moabit
P. Ceslaus dachte an eine Niederlassung im Zentrum der Stadt, und auch später noch, als bereits die Niederlassung in Moabit fest gegründet war, gab er diesen Gedanken nicht auf. Aber einem Kloster in der Stadtmitte stellten sich von vornherein Schwierigkeiten entgegen, die eine Gründung unmöglich gemacht hätten. Da war zunächst einmal die Pfarrgeistlichkeit, die eine Konkurrenz der Dominikaner fürchtete. Auch hätte die protestantische Bevölkerung kaum den Sinn eines Klosters mit Kirche in der Nähe anderer Kirchen verstanden. Man musste also eine Niederlassung in einem Stadtviertel, das von den Kirchen weit entfernt lag, als Sprungbrett benutzen.
Im Februar 1867 unterbreitete P. Ceslaus dem Ordensgeneral zwei Vorschläge: Moabit, wo in den Borsigschen Fabriken viele Katholiken arbeiteten, die bis zur Invalidenhauskirche in der Scharnhorststraße gehen mussten, um den Gottesdienst zu besuchen – und die Betreuung einer Kapelle auf einem katholischen Friedhof. P. Jandel entschied sich für Moabit. Dort wurden am 1. April die Räume der katholischen Schule in der Stromstraße 44 frei. P. Ceslaus mietete diese drei Räume im Erdgeschoß und richtete das größere Zimmer mit Hilfe der Moabiter Katholiken als Kapelle ein. Am Palmsonntag, dem 14. April 1867, feierte er die erste hl. Messe in Moabit. Zunächst konnte nur am Sonntag, und zwar um 7.00 Uhr, die hl. Messe gehalten werden, weil P. Ceslaus immer noch Lazarettgeistlicher in der Scharnhorststraße war. Im Oktober 1867 kam P. Albert Trapp nach Berlin und übernahm nun hauptsächlich die Seelsorge in Moabit und erteilte zusammen mit P. Ceslaus im katholischen Progymnasium Religionsunterricht. Neben seiner Tätigkeit im Lazarett hörte P. Ceslaus samstags in St. Hedwig Beichte.
Das Waisenhaus in der Turmstraße
Die Kapelle in der Stromstraße war nur als Notbehelf gedacht. Deshalb suchte P. Ceslaus noch nach besseren Möglichkeiten. Der Frauenverein St. Hedwig zur Verpflegung katholischer Waisen kaufte im Dezember 1867 ein großes Anwesen in der Turmstraße: vorn an der Straße lag ein großer Park, dahinter eine geräumige Villa mit Nebengebäuden. Dorthin sollten die Waisenknaben aus dem Hedwigskrankenhaus überführt werden. P. Ceslaus wollte mit einigen Brüdern die Leitung des Waisenhauses übernehmen, stieß aber beim Ordensgeneral auf Ablehnung. Während die Verhandlungen noch geführt wurden, stellte der Frauenverein den Patres die Villa schon zur Verfügung. Ein großes Zimmer, mit dem Eingang zum Park hin, wurde als Kapelle eingerichtet, und im Januar 1868 begann hier der Gottesdienst. Für die Leitung des Waisenhauses besorgte P. Ceslaus Franziskanerbrüder aus Aachen, die im April 1869 in die Nebengebäude der Villa einzogen. Die Patres gaben den Waisenknaben Katechismusunterricht.
Nun füllte sich auch die Kapelle, denn von den Moabitern kamen nicht sehr viele zu den Gottesdiensten. In der Woche waren es gewöhnlich fünf Personen und am Sonntag vielleicht zwanzig. Zum Beichten am Samstag erschien kaum jemand. Die Patres hätten Hausbesuche durchführen müssen, um die katholische Bevölkerung mehr zu aktivieren, aber das konnten sie nicht, weil der zuständige Pfarrer von St. Sebastian das nicht wünschte. Für Kirchenbesucher aus der Stadt war der Weg zu weit.
Die Errichtung der Pauluskapelle und des Klosters in Moabit
Neben dem Anwesen des Waisenhauses lag noch ein anderes Grundstück, das verkäuflich war. Darauf standen an der Straße zwei Wohnhäuser, weiter zurück eine Kesselschmiede mit einem kleinen Wohnhaus, die man gut zu einer ausreichend großen Kapelle und zu einem Kloster umbauen konnte. P. Jandel genehmigte bei seinem Besuch im August 1868 den Kauf. Da der Orden zivilrechtlich kein Eigentum erwerben konnte, kaufte der Frauenverein zu St. Hedwig am 17. November 1868 für die Dominikaner dieses Grundstück von über drei Morgen zum Preis von 31 000,- Talern. Der Frauenverein lieh P. Ceslaus 3000,- Taler, Baron Leo von Savigny ebenfalls 3000,- und ein reicher protestantischer Herr Scheffer-Voit 6000,-Taler. Baumeister Niermann gestaltete die Kesselschmiede in eine schöne dreischiffige Kapelle um, die gut 400 Personen fasste.
P. Dominikus Lentz, der Kommissar des Ordensgenerals für Deutschland, konnte am 4. August 1869, dem Fest des heiligen Dominikus, die neue Kapelle einsegnen. Sie wurde dem heiligen Apostel Paulus geweiht, weil auch die mittelalterliche Dominikanerkirche unter dem Schutze des Völkerapostels gestanden hatte. P. Lentz feierte das erste feierliche Hochamt, bei dem P. Rouard de Card, der neue Obere in Berlin, und P. Ceslaus assistierten. Die Festpredigt hielt der Missionsvikar Eduard Müller. Zu dieser Feier waren viele Gäste aus allen Ständen erschienen. Am Nachmittag erteilte der Armeebischof Namczanowski den feierlichen Segen. Das Haus neben der Kapelle konnte erst am 29. September 1869 von den Patres bezogen werden. Am 2. Oktober 1869 wurde dann die erste Dominikanerkommunität nach der Reformation in Berlin konstituiert.
Der Moabiter Klostersturm
Die Einweihung der Pauluskapelle hatte ein weites Echo gefunden, da sie mit viel Publicity erfolgte. War die Errichtung eines Klosters in der Metropole des Protestantismus schon ein Wagnis und auch für viele ein Ärgernis, so erregten die Zeitungsberichte über die Predigt des Missionsvikars erst recht die Gemüter. Der Prediger hatte u. a. gesagt, dass hier ein Licht aufgehe, das weithin leuchten und viele zur Erkenntnis der wahren Religion führen werde. Das musste natürlich Protestanten und Liberale herausfordern. Die liberale Presse hatte kurz vorher schon eine Hetze gegen die Klöster gestartet. Der deutsche Journalistentag in Wien im Juli 1869 forderte die Aufhebung der Klöster. Man braucht sich also nicht zu wundern, dass die liberale Presse nun auch ihre Hetze gegen die Dominikanerniederlassung in Moabit richtete. Die Zeitungen brachten Hetzartikel und Karikaturen, allen voran der Kladderadatsch. In den folgenden Tagen wurden die Patres sehr belästigt. Der Zulauf an Neugierigen und die Exzesse nahmen zu.
Am 16. August stürmte dann eine aufgehetzte Volksmenge das Kloster. Sie riss die Umzäunung nieder, zertrümmerte mit Steinwürfen die Fensterscheiben und versuchte, in Kirche und Kloster einzudringen. Der Mob konnte nur mit Mühe von der Polizei vor dem Letzten zurückgehalten werden. Auf beiden Seiten gab es Verwundete. Bis zum 1. November blieb eine Polizeiwache im Kloster, da man immer wieder mit neuen Angriffen rechnen musste. Der Polizeipräsident legte den Dominikanern nahe, Berlin zu verlassen, aber P. Ceslaus ließ sich dadurch nicht einschüchtern. Der populäre Generalfeldmarschall von Moltke, ein Freund des P. Ceslaus, besuchte in diesen Tagen das Kloster, um in aller Öffentlichkeit seine Sympathie kundzutun. Es wurden Versammlungen einberufen, deren gegen das Kloster gerichtete Resolutionen aber von den katholischen Arbeitern verhindert werden konnten. Auch die Regierung befasste sich mit der Aufhebung des Moabiter Klosters, aber vorerst geschah noch nichts. Doch blieb die Atmosphäre gespannt. Es war bereits ein Vorzeichen für den Kulturkampf. Vom Tage des Klostersturmes an gingen die Patres nicht mehr im Ordenshabit in die Stadt.
Seelsorgetätigkeit der Dominikaner bis 1875
Kurze Zeit nach dem Klostersturm ließ sich P. Albert Trapp nach Düsseldorf versetzen, und an seine Stelle trat P. Augustinus Keller. Im Moabiter Kloster lebten nun drei Patres und Bruder Pius Reber, ein gebürtiger Berliner. Freilich kam der Obere, P. Rouard, für Seelsorgearbeiten kaum in Betracht, da er nicht deutsch sprach. Er reiste am 15. November 1869 nach Rom, um als theologischer Berater des Ordensgenerals am 1. Vatikanischen Konzil teilzunehmen. Für die kleine Moabiter Niederlassung sicher eine große Ehre.
Trotz Ausbruch des deutsch-französischen Krieges kehrte P. Rouard nach Berlin zurück, um in dieser schweren Zeit die ihm anvertraute Gemeinschaft zu leiten. Aber nach einigen Tagen musste er Berlin wieder verlassen, weil ihm die Verhaftung und dem Kloster seiner Anwesenheit wegen große Gefahr drohten. P. Ceslaus und P. Augustinus konnten aber unmöglich gerade jetzt, da sich die Stadt mit verwundeten und Gefangenen füllte, die Arbeit allein schaffen. P. Thomas Leikes und P. Augustinus Aquilanti, ein Italiener, kamen aus Düsseldorf zu Hilfe. Letzterer wurde Oberer des Klosters. P. Ceslaus, der immer noch die Seelsorge im Lazarett in der Scharnhorststraße beibehalten hatte, übernahm nun auch noch die Sorge für die Verwundeten und Kranken in der Ulanenkaserne und in der Zentralturnanstalt, sowie für die Franzosen in den Lazaretten jenseits der Gr. Friedrichstraße.
Er musste aber mit Bedauern feststellen, dass sich die Situation seit 1866 gewandelt hatte. Hatte man damals noch seine Tätigkeit mit Wohlwollen gesehen, so hetzte jetzt die liberale Presse gegen ihn. Die Posener Zeitung brachte z. B. am 8. September 1870 folgenden Artikel: „Der Breslauer Morgenzeitung schreibt ihr Berliner Korrespondent: Alle hiesigen Vereinslazarette klagen über die Zudringlichkeit der Geistlichen, welche ohne und gegen die Erlaubnis der Lazarettvorstände in die Krankenräume eindringen, Betstunden abhalten und Verwundete mit Traktätchen voll Todesgedanken aufzurichten gedenken. Die Herren wissen, dass sie von mächtiger Hand beschützt werden. Virchow, als Direktor des Lazaretts in der Ulanenkaserne, machte jüngst einem Pater aus dem Moabiter Kloster (Robiano, weltlich Graf Stolberg) bemerklich, dass, wenn geistlicher Zuspruch gefordert werde, man ihn rufen lassen wolle.“
Man wollte P. Ceslaus nur einmal in der Woche ins Lazarett hineinlassen. Der Armeebischof musste schließlich gegen Virchow einschreiten. Während des Kulturkampfes wurde P. Ceslaus am 28. Mai 1872 aus dem Lazarettdienst entlassen, er durfte seine Lazarettbesuche auch ohne Vergütung nicht fortsetzen. Wohl durch Gefangene wurden während des Krieges die Blattern nach Berlin eingeschleppt, P. Augustinus Keller übernahm die Seelsorge der Blatternkranken im Frauen- und Männerlazarett in Moabit.
Nachdem der Friede geschlossen war und die Lazarettarbeit nachließ, setzte die kleine Gemeinschaft in Moabit ihr echt dominikanisches Leben fort: nach besten Kräften hielten sie das Chorgebet und wirkten in der Seelsorge in Moabit, Berlin und Umgebung. In Moabit wurden am Sonntag jetzt mehrere heilige Messen gehalten, und nachmittags war Rosenkranz, Predigt und Segensandacht. Dazu kamen viele Beichtaushilfen und Predigten in anderen Kirchen Berlins. Die Patres gaben Religionsunterricht im Waisenhaus. Besonders widmeten sie sich der Schwesternseelsorge in Berlin. Sie hielten auch viele Schwesternexerzitien in der Mark, im Pommern und in Schlesien. P. Thomas wirkte neben anderen Seelsorgsarbeiten vornehmlich für die Verbreitung des Rosenkranzgebets. Er errichtete Rosenkranzbruderschaften und verfasste Schriften über den Rosenkranz.
Die Aufhebung des Klosters im Kulturkampf
Nach dem Klostersturm blieb die öffentliche Meinung gegen das Moabiter Kloster eingenommen. Mit der Aufhebung der katholischen Abteilung im Kultusministerium am 8. Juli 1871 begann der Kulturkampf in Preußen. Die Staatsbürger-Zeitung griff am 18. August 1872 in einem Artikel auf der ersten Seite die Moabiter Klosterfrage wieder auf. Die Zeitung schrieb, das Hauptübel, gegen das die Regierung ankämpfe, sei nicht in entlegenen katholischen Gebieten zu suchen, sondern in der Hauptstadt des neuen Deutschen Reiches. Das Jesuitengesetz von 4. Juli 1872, das die Niederlassungen der Jesuiten und verwandter Orden im Deutschen Reich aufhob, betraf zwar noch nicht die Dominikaner, aber dennoch musste man in Moabit mit Schwierigkeiten seitens der Regierung rechnen.
P. Ceslaus bat im März 1874 den Ordensvikar, die Briefe nicht mehr an das Kloster, sondern an eine Privatperson zu adressieren, weil die Post nicht mehr sicher war. P. Aquilanti musste am 13. Oktober 1874 Preußen verlassen, weil nach dem Kulturkampfgesetz ausländische Priester keine geistlichen Funktionen ausüben durften. Zum Superior des Moabiter Klosters wurde daher P. Augustinus Keller ernannt. Nach dem Klostergesetz vom 31. Mai 1875, das alle Orden aufhob, die sich nicht mit der Krankenpflege befassten, erschien am 26. Juli 1875 im Moabiter Kloster ein Regierungskommissar, um das Inventar des Hauses und die Kaufakten zu prüfen. Das Grundstück und die Gebäude waren klugerweise schon 1873 vom Frauenverein an den Maurermeister Bernhard Haendly und von diesem an den Schwager des P. Ceslaus, Graf Stolberg-Wernigerode, verkauft worden. Die Regierung konnte sie nicht einziehen.
Am 14. Oktober 1875 mussten alle Mitglieder des Konvents im Kloster anwesend sein, und ein Regierungsassessor verlas ihnen den Auflösungsbeschluss des Polizeipräsidiums. Das Grundstück musste am 1. Dezember 1875 von den Mitgliedern der Ordensniederlassung geräumt sein. Am 30. November 1875 verließen die Dominikaner ihr Kloster in Moabit, fanden aber ein Unterkommen bei verschiedenen Familien in Berlin. Die Bibliothek und alle entbehrlichen Möbelstücke waren schon vorher in Sicherheit gebracht worden. Schon am 1. Dezember in aller Frühe zog Baron von Schrötter mit seiner Familie ins Kloster ein, das er vom Grafen Stolberg gemietet hatte.
Weitere Entwicklung nach der Aufhebung des Klosters
Da die Polizei am 1. Dezember 1875 das Kloster von Privatleuten bewohnt fand, versiegelte sie weder Haus noch Kapelle, wie das sonst üblich war. So konnte P. Ceslaus täglich frühmorgens nach Moabit kommen, um dort die heilige Messe zu feiern. Sonntags hielt meistens Direktor Rudolphi, der als Reichstagsabgeordneter in Berlin weilte, die zweite heilige Messe mit Predigt. Die Gottesdienste waren öffentlich, was der Polizei natürlich nicht entging. So wurde Herr von Schrötter Ende Januar 1876 vom Polizeipräsidium aufgefordert, nicht weiter die Dominikaner den Gottesdienst halten zu lassen, da dies der Absicht der Auflösung des Klosters widerspreche. Baron von Schrötter antwortete, P. Ceslaus feiere den Gottesdienst nicht in seiner Eigenschaft als Ordensgeistlicher, sondern als bei der St. Paulus-Kirche in Moabit angestellter Seelsorgepriester.
Im Mai 1876 wurde P. Ceslaus wegen unbefugter Vornahme geistlicher Amtshandlungen vor den Untersuchungsrichter geladen. Der Prozess vor dem königlichen Stadtgericht endete aber am 20. September 1877 mit seinem Freispruch, der auch in drei Berufungsverhandlungen bestätigt wurde. Die Moabiter Katholiken empfingen ihn mit Triumph und waren froh, dass P. Ceslaus ungestört seine Seelsorgsarbeit in Moabit fortsetzen konnte.
Im Übrigen waren aber die Wirkungsmöglichkeiten der Patres sehr eingeschränkt, so dass sie eine Zeitschrift zur Förderung des Rosenkranzgebetes unter dem Namen Der Marienpsalter gründeten, um sich andere Wege der Verkündigung zu erschließen. Am 1. Januar 1878 erschien in Kommission beim Verlag der Germania das erste Heft und fand guten Anklang. Die Redaktion hatte P. Thomas Leikes übernommen. P. Augustinus Keller, seit 1877 Vikar des Ordensgenerals für die deutschen Dominikaner, gründete 1879 in Venlo (Holland) einen Konvent für die vertriebenen deutschen Dominikaner, sowie das Collegium Albertinum zur Heranbildung des Nachwuchses. Da er im Mai 1880 das Amt des Priors in Venlo übernahm, verließ er Berlin. P. Ceslaus unternahm von 1880-1882 oft Kollektenreisen für das Kolleg in Venlo, wobei er in Moabit von Weltpriestern vertreten wurde, die als Reichstagsabgeordnete dort weilten.
Dort aber gab es bald neue Schwierigkeiten. Der bischöfliche Delegat in Berlin, Propst Herzog, beabsichtigte, die Kapelle des Waisenhauses für den öffentlichen Gottesdienst zu bestimmen und den dort inzwischen angestellten Weltpriester zum offiziellen Seelsorger der sich in Moabit bildenden Pfarrgemeinde zu ernennen. Die Patres wären damit überflüssig gewesen, denn für eine überpfarrliche Seelsorge war Moabit damals zu abgelegen. P. Augustinus Keller legte am 1. Dezember 1882 gegen diesen Plan beim Delegaten Verwahrung ein, konnte aber an dieser Entwicklung nichts ändern. Die Dominikaner dachten nun daran, entsprechend ihrem ursprünglichen Plan Moabit zu verlassen und sich im Zentrum von Berlin niederzulassen. Für P. Ceslaus bedeutete das ein schweres Opfer nach so langer, mühsamer Arbeit Moabit aufzugeben, wo die Menschen ihm so verbunden waren. In den Jahren 1885-86 schien alles darauf hinzudeuten, dass die Dominikaner Moabit wieder verlassen würden. Rom hatte bereits unter der Bedingung die Zustimmung gegeben, dass in Berlin an anderer Stelle ein neues Kloster gegründet würde. Der Fürstbischof war ebenfalls damit einverstanden.
Die Patres kauften im Oktober 1886 das Haus in der Karlstraße 29, nahe der Friedrichstraße, um ein katholisches Krankenhaus zu beginnen. Man konnte in diesen Jahren nur unter dem Schutz eines caritativen Unternehmens etwas erreichen, weil die ordensfeindlichen Gesetze immer noch bestanden, obwohl der Kulturkampf abflaute. P. Ceslaus wollte neben dem Krankenhaus ein öffentliches Gotteshaus bauen und eine Dominikanerniederlassung gründen. P. Petrus Bremer, der inzwischen nach Berlin versetzt worden war, hatte 1885 eine Gemeinschaft von Tertiarinnen für die ambulante Krankenpflege gegründet und eröffnete mit ihnen am 1. Oktober 1887 in der Karlstraße 29 eine Krankenpflegestation. 1889 schloss sich diese Gemeinschaft den Arenberger Dominikanerinnen an, und es entstand dort das Maria-Viktoria-Krankenhaus. Mit ihm konnte auch eine öffentliche Kirche verbunden werden und die Wohnung für einige Patres. Die Niederlassung in Moabit wurde aber nicht aufgegeben.
Die Wiedereröffnung des Klosters Moabit
Im Jahre 1887 wurde das Klostergesetz vom 31. Mai 1875 so abgeändert, dass die meisten Orden wieder aus dem Exil zurückkehren konnten. Zunächst kehrten die Dominikaner Ende 1887 nach Düsseldorf zurück. Mit Berlin wollte man wegen der besonderen Umstände bei der Gründung des Klosters noch etwas warten und die Möglichkeiten erkunden. Erst 1889 reichte P. Augustinus Keller das Gesuch für die Wiedereröffnung des Klosters ein.
Der Oberpräsident der Provinz Brandenburg antwortete am 23. August 1889: „Die Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten und des Innern haben den Antrag Ew. Hochehrwürden … durch Erlass vom 17. dieses Monats genehmigt, dass in Berlin eine Niederlassung der Genossenschaft der Dominikaner, und zwar zum Zweck der Aushilfe in der Seelsorge von neuem errichtet werde. Indem ich Ew. Hochehrwürden hiervon im Auftrag der genannten Herrn Minister in Kenntnis setze, bemerke ich ergebenst, dass nach der mir gewordenen Eröffnung eine andere Ordenstätigkeit als die ebenerwähnte ohne ausdrückliche staatliche Genehmigung von den Mitgliedern der Niederlassung nicht übernommen werden darf. Auch ist sowohl sogleich nach Eröffnung der Niederlassung, in welche nur Ordensangehörige, die das deutsche Indigenat besitzen, aufgenommen werden dürfen, als auch demgemäß alljährlich eine Bestandsnachweisung aufzustellen und an den dortigen Herrn Polizeipräsidenten einzureichen, welcher Ew. Hochehrwürden in dieser Beziehung mit weiterer Nachricht versehen wird“.
Baron von Schrötter räumte den Patres sofort das Haus. P. Ceslaus Robiano, P. Petrus Bremer und Bruder Franziskus, die verstreut in Berlin wohnten, zogen nach Moabit um. Neu hinzukamen: P. Raymund Lentz, P. Heinrich Kutscher, Bruder Johannes Deussen, Bruder Goar Klein und Bruder Raymund Scheen. Auch der Generalvikar der deutschen Dominikaner, P. Augustinus Keller, nahm Wohnung in Moabit. Am 26. April 1895 wurde das Moabiter Kloster zum Priorat erhoben, und Pater Raymund Lentz zum ersten Prior ernannt.
Der Bau der St. Paulus-Kirche und des Klosters
Die ehemalige Kesselschmiede hatte den Moabitern lange Zeit als Gottesdienstraum genügt. Sie hatte den Klostersturm überstanden und blieb auch während des Kulturkampfes eröffnet. Viele herrliche Feiern hatten in ihr stattgefunden, unter denen die Priesterweihe von P. Josef Brüning am 21. Februar 1891 bei weitem hervorragte. Allein die wachsende Zahl der Moabiter Katholiken konnte sie nicht mehr fassen. Bereits im Jahre 1885 hatte Fürstbischof Herzog von Breslau, ehemals Propst in Berlin, einen Erweiterungsbau empfohlen. Dennoch zog sich der Baubeginn noch eine Zeitlang hin.
Am 22. August 1891 erteilte der Minister der geistlichen Angelegenheiten die Bauerlaubnis, die das Polizeipräsidium verweigert hatte. Nun konnte der Bau der großen St. Paulus-Kirche nach den Plänen des Baumeisters Seibertz beginnen. Die St. Paulus-Kapelle musste für den Neubau abgerissen werden. Für den Gottesdienst während der Bauzeit errichtete man eine Notkapelle, die später noch als Gemeindesaal diente. Die Grundsteinlegung nahm P. Augustinus Keller am 24. Juni 1892 vor. Propst Jahnel weihte das neue Gotteshaus am 24. Oktober 1893 ein, wobei P. Raymund Lentz, der damalige Obere, die Festpredigt hielt. Gleichzeitig mit der Kirche wurde das neue Kloster gebaut, das im Februar 1893 zum Teil schon bezogen werden konnte.
Die Errichtung der Kuratie St. Paulus
Der Generalvikar der deutschen Dominikaner, P. Augustinus Keller, hatte bereits am 17. Dezember 1891 an den Fürstbischof von Breslau ein Gesuch zur Errichtung einer Pfarrei in Moabit eingereicht, weil die Seelsorgsnot unter den 12 000 Katholiken, die inzwischen hier wohnten, sehr groß war. Aber er blieb ohne Antwort. Nun hatte der Orden die neue große St. Paulus-Kirche errichtet, die allen Gläubigen in Moabit den Besuch der Sonntagsmesse ermöglichte, aber die zuständige Pfarrei blieb St. Sebastian im Wedding, und man war nur bereit, einen der dortigen Geistlichen als Kuratus für den Pfarranteil Moabit an der Waisenhauskapelle anzustellen. Dass schließlich doch den Dominikanern die Pfarrseelsorge für Moabit übertragen wurde, ist dem Einsatz der Moabiter Katholiken für „ihre Patres“ zu danken. Sie wandten sich am 3. Dezember 1893 an den Fürstbischof Kardinal Kopp zu Breslau und erneuerten das Gesuch am 17. März 1894, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten. Schließlich sandte am 21. Juli 1894 der kath. gesellige Verein St. Paulus zu Moabit eine Petition mit mehreren tausend Unterschriften an ihn, in der sie die Unmöglichkeit schilderten, von St. Sebastian aus bei der großen Entfernung und der geringen Zahl von Priestern Moabit noch genügend seelsorglich zu erfassen.
„Wir Unterzeichneten protestieren feierlich vor Gott, dass wir unschuldig sind an solchen Zuständen und wiederholen unsere dringende Bitte, dass Ew. Eminenz mit kräftiger Hand eingreifen und bessere Verhältnisse herbeiführen möge, damit in Moabit gerettet wird was noch zu retten ist… Ein Kuratus an der Waisenhauskapelle ist ganz überflüssig. Wir haben in Moabit seit 1866 die hochwürdigen PP. Dominikaner, welche seitdem in uneigennütziger Weise, soviel sie konnten, für die Moabiter Katholiken gesorgt haben. Wir lieben und verehren diese Herren, welche in ihrer Person ein Muster der Entsagung und Aufopferung im Dienste der Nächsten darbieten… Die PP. Dominikaner, zehn an der Zahl, würden sicherlich gerne ihre Kräfte in der Seelsorge verwenden.“ Kardinal Kopp antwortete am 20. August 1894, dass er schon wegen der Form des Gesuches sich nicht zu einer Beantwortung veranlasst sehe, und dass der Versuch, Druck auf die kirchlichen Behörden auszuüben, den Grundsätzen der hl. Kirche nicht entspreche.
Schon am 1. August hatte Kaplan Kaufmann von St. Sebastian im Auftrag des Kardinals eine Volksversammlung in Moabit gehalten, bei der er sehr autoritär auftrat und erklärte, als Laien hätten sie kein Recht, auch nur Eingaben zu machen. Es wundert einen nicht, wenn er nach dieser Versammlung an Propst Jahnel schrieb: „Ich entging mit Not der Misshandlung durch die fanatische Volksmenge.“ Als Argumente gegen eine Abtrennung Moabits wurden angeführt, dass der Kirchenvorstand von St. Sebastian wegen der großen Bauschulden nicht auf die Kirchensteuern und die Stolgebühren aus Moabit verzichten könnte. Auch dürften Ordensleute in den Schulen keinen Religionsunterricht erteilen. In einem unsignierten Artikel in der Germania vom 11. November 1894 – von vielen dem Propst Dr. Jahnel zugeschrieben – wurde behauptet, Ordensleute seien für die Pfarrseelsorge in einer Großstadt ungeeignet, denn der Ordenshabit und die Klosterregel hindere an der Teilnahme am katholischen Vereinsleben, einer sehr wichtigen Seelsorgsaufgabe besonders in Berlin.
Gerade dieser Artikel führte zu vielen Kontroversen in katholischen Zeitungen und zu hämischen Auslassungen in der liberalen Presse. Schließlich stellte der Fürstbischof zum 1. Januar 1895 einen Weltpriester an der Waisenhauskapelle zum Kuratus des seelsorglich selbständigen Gebietes Moabit an. Ja, man dachte daran, eine eigene Pfarrkirche zu erbauen – obwohl die Paulus-Kirche schon stand! – und bettelte in katholischen Gebieten durch Annoncen in den Kirchenblättern: „Einem Waisenkinde gleich ist die arme, verlassene Gemeinde Berlin-Moabit. 13 000 Katholiken haben keine Pfarrkirche, sondern sind eingemietet in einer kleinen Waisenhauskapelle, die nur 150 Personen fasst… Wodarz, Kuratus“ (so in der Salzburger Kirchenzeitung vom 13. 9. 1895).
Im Sommer 1895 kam es endlich auf Grund eines Erlasses von Kard. Kopp zu Besprechungen zwischen dem Propst von St. Hedwig, dem Pfarrer von St. Sebastian und dem Prior der Dominikaner, und mit Wirkung vom 1. Oktober 1895 wurde dann den Dominikanern die Pfarrseelsorge für Moabit übertragen. Bedingung für diese Einigung war allerdings, dass St. Sebastian auch weiterhin die Kirchensteuer von Moabit einziehen durfte, und ein Weltgeistlicher vorläufig den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen übernahm, bis die Dominikaner die staatliche Erlaubnis zum Besuch der Schulen erhielten.
Leider hatten diese Spannungen auch für P. Ceslaus von Robiano bittere Konsequenzen. Als eine übel beleumdete Frau in den gleichen Wochen beim Propst eine Klage gegen ihn erhob, verlangte der Fürstbischof die sofortige Entfernung des P. Ceslaus aus Berlin. Dieser konnte sich nicht verteidigen, da das Beichtgeheimnis ihm den Mund schloss, aber der Bischof von Trier äußerte, man könnte für seine Unschuld die Hand ins Feuer legen. P. Ceslaus wollte in Rom gegen die Ausweisung klagen, aber der Ordensgeneral P. Andreas Frühwirth schrieb ihm: „Ich kann nur abraten, Schritte in Rom zu tun. Dieselben würden das gespannte Verhältnis, welches zwischen Seiner Eminenz und den Dominikanern zu bestehen scheint, noch verschlimmern.“ So verließ im September 1895 P. Ceslaus sein geliebtes Moabit, wo er fast 30 Jahre gewirkt und an dem sein Herz hing. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in unseren Klöstern in Venlo und in Düsseldorf, wo er am 2. April 1902 starb.
Wichtige Persönlichkeiten für St. Paulus
Mit dem Bau der St. Paulus-Kirche und der Übertragung der Pfarrseelsorge für Moabit an die Dominikaner waren die Gründerjahre abgeschlossen. Damit waren auch die seelsorglichen Möglichkeiten und Aufgaben dieses Klosters vorgezeichnet. Wie aber diese Aufgaben gemeistert wurden und welche Bedeutung St. Paulus für Berlin gewann, wurde letztlich von den Persönlichkeiten bestimmt, die der Orden dem Berliner Kloster zur Verfügung stellen konnte. Es wäre eine lange Liste, wenn man alle Mitbrüder aufführen würde, die im Verlauf dieser Jahre hier gewirkt haben. Und selbst, wenn man nur über diejenigen schreiben wollte, die durch ihre langjährige Tätigkeit oder durch außergewöhnliche Fähigkeiten besondere Bedeutung für St. Paulus erlangten, müsste man manchen Namen aufführen. Im Folgenden sind drei herausgegriffen, die zu Anfang die Akzente setzten und durch ihre Persönlichkeit St. Paulus prägten.
P. Raymund Lentz
P. Raymund wurde als Albin Lentz am 1. März 1849 zu St. Vith in der Eifel geboren. Er machte seine philosophischen und theologischen Studien an den Universitäten zu Bonn und Münster und wurde am 24. August 1873 in Köln zum Priester geweiht. Zunächst war er Kaplan in Düsseldorf-Heerdt, musste aber bald aus Deutschland fliehen, da er wegen Übertretung der Maigesetze verhaftet werden sollte. Später erzählte er gern, wie er beinahe auf dem Kölner Bahnhof gefasst worden wäre. Ein Polizist kontrollierte jedes Abteil seines Zuges. Da er sich durch einen hellgrauen Zivilanzug ausreichend getarnt fühlte, öffnete er dem Beamten ruhig die Tür und sagte zu ihm: „Hier ist außer mir niemand weiter drin.“ Der Polizist hatte keinen Verdacht geschöpft und setzte seine Nachforschungen im Zuge fort. Kaplan Lentz erreichte glücklich die Grenze.
Für einige Jahre übernahm er eine Stelle als Hausgeistlicher bei Schwestern im Bistum Lüttich. Danach folgte er einem Rufe des späteren belgischen Außenministers Baron de Favereau, der ihm die Erziehung seiner Mündel, der beiden jungen Grafen van Geloes in Lüttich übertrug. Im Jahre 1880 begab sich Lentz nach Rom, um dort seine Studien fortzusetzen und promovierte 1883 bei P. Zigliara OP zum Doktor der Theologie. Gern erzählte er, dass er kurz vor seiner Abreise aus Rom die Dominikanerkirche Santa Sabina besucht habe. Da sei ihm der Gedanke gekommen, ob er am Ende nicht vielleicht selbst als Predigerbruder sterben werde. Aber er habe sich die skeptische Antwort gegeben: „Et glöiw ich nich!“ Schließlich trat er doch als P. Raymund im April 1883 zu Venlo in Holland in den Dominikanerorden ein.
Nach dem Noviziat unterrichtete er einige Jahre am Kollegium Albertinum zu Venlo und wurde 1888 nach Berlin versetzt. Sein erster Aufenthalt in Berlin dauerte nur kurze Zeit. Von 1890-1893 sehen wir ihn als Prior in Düsseldorf. Anschließend wurde ihm vom Ordensgeneral, dem späteren Kardinal Frühwirth, die Leitung des Berliner Klosters übertragen. Er erhielt den Titel Vicarius. Von 1895-1898 und später noch einmal von 1901-1904 war er Prior von St. Paulus. Nach der Errichtung der Kuratie St. Paulus am 1. Oktober 1895 wurde P. Raymund erster Kuratus. Seine Gemeinde zählte damals schon etwa 13 000 Katholiken. Mit großem Eifer ging P. Raymund an seine Aufgaben.
Besonders liebevoll nahm er sich der Pfarrvereine an, in denen er hervorragende Möglichkeiten sah, seine Gemeindemitglieder zu festigen und zu fördern. Wie sein Amtsnachfolger, P. Bonaventura Krotz, berichtet, war P. Raymund ein Mann von besonnener Autorität, von geradem und festem Charakter, sehr klug und willensstark, aber offen für jeden guten Rat in der Seelsorge. Wegen seiner liebevollen Fürsorge wurde er von der Gemeinde sehr verehrt. Stets setzte er sich für die Anliegen seiner Pfarrangehörigen ein.
Ein besonderes Beispiel sind die Vorgänge des Jahres 1897: Damals waren Unstimmigkeiten mit der Meierei C. Bolle entstanden. Mehrere katholische Arbeiter waren dort entlassen worden, und die Ursache dieser Maßnahme sahen viele in der Weigerung der Katholiken, den protestantischen Samstags-Gottesdienst in der Bolle gehörenden Hauskapelle zu besuchen. Die Märkische Volkszeitung machte diesen Vorfall in mehreren scharfen Artikeln der Öffentlichkeit bekannt. Daraufhin wurden sämtliche katholischen Arbeiter und Angestellten der Firma entlassen oder gekündigt. Nun beschäftigte sich die Tagespresse aller Parteien mit der Affäre. Der Fall drohte sich zu einem Kampf zwischen Katholiken und Protestanten zu entwickeln. An einer Protestkundgebung im Saal der Arendt’s Brauerei, Turmstr. 25, nahmen am 21.11.1897 ungefähr 1500 Personen teil. Nachdem P. Raymund inzwischen zweimal mit Kommerzienrat Bolle verhandelt hatte, konnte er den Anwesenden verkünden, dass es ihm gelungen sei, ein gütliches Übereinkommen zu treffen. Die Versammlung stimmte seinen einlenkenden Vorschlägen begeistert zu. P. Raymund wurde als sozialer Held gefeiert. Der Westfälische Merkur verglich ihn in der Ausgabe vom 28.11.1897 unter der Überschrift Ein schneidiger Mönch mit dem englischen Kardinal Manning, der 1889 beim großen Dockarbeiterstreik in London schlichtend vermittelt hatte.
Am 12. April 1907 starb P. Raymund im St. Anna-Stift zu Berlin-Südende. Seine letzte Ruhe fand er als erster in der Grabstätte des Klosters auf dem St. Sebastiansfriedhof zu Berlin-Reinickendorf.
P. Bonaventura Krotz
Dieser selbstlose Priester war wohl der berühmteste Bewohner des Dominikanerklosters St. Paulus zu Berlin. P. Bonaventura wurde als Friedrich Julius Krotz am 20. Dezember 1862 zu Karlsruhe als 13. Kind seiner Eltern geboren. Von 1874 an besuchte er das Gymnasium seiner Vaterstadt. Seit seiner Jugend hatte er eine besondere Freude am Theater. Sein Kaplan berichtete später, dass man da und dort hören konnte: „Krotz wird entweder Pfarrer oder Schauspieler.“ Seine Schulzeit fiel in die Periode des Kulturkampfes. Der Gymnasiast Fritz Krotz bekam das zu spüren. Als Obersekundaner hielt er zum 25. Stiftungsfest des katholischen Gesellenvereins die Jubiläumsrede. Der Direktor seines Gymnasiums war empört, und Fritz Krotz wurde daraufhin überall schikaniert. Als er bei der Frage nach seinem Berufsziel das Theologiestudium nannte, antwortete ihm der Direktor darauf: „Wir erziehen keine Pfaffen an unserer Anstalt. Werden Sie doch Schauspieler!“ So ging er im Jahre 1882 zunächst nach Rastatt und dann nach Freiburg i. Br., wo er 1884 das Abitur bestand.
Fritz Krotz trug sich tatsächlich mit dem Gedanken, Schauspieler zu werden. Bei dem Hofschauspieler Wassermann ließ er sein Talent prüfen. Aber wegen seiner kleinen Statur wurde ihm abgeraten. Dennoch stand seine Begabung für die Schauspielkunst fest. Nach dem Abitur studierte er an der Universität Freiburg i.Br. Dort lenkte der Kirchenhistoriker F. X. Kraus seinen Blick auf den großen französischen Kanzelredner, den Dominikaner Lacordaire. Dadurch gab er unbewusst den ersten Anstoß zum späteren Eintritt in den Dominikanerorden. Am 12. Juli 1888 empfing Fritz Krotz zu Freiburg die Priesterweihe. Die Freude dieses Tages war für ihn überschattet durch den Tod seiner Mutter, an der er sehr hing. Als Kaplan wirkte er dann vorübergehend in Gernsbach und Krotzingen und von 1890-1892 in der Universitätsstadt Heidelberg an der Jesuitenkirche. Kaplan Krotz stellte große Anforderungen an die Gottesdienstbesucher. Predigten von einer bis anderthalb Stunden waren bei ihm keine Seltenheit. Jedoch wurde der Kreis seiner Zuhörer dadurch nicht kleiner, sondern im Gegenteil immer größer.
Die geistige Begegnung mit Werken der Dominikaner A. M. Weiß, H. Didon, H. Lacordaire und J. M. L. Monsabré gab die Anregung zum überraschenden Eintritt in den Dominikanerorden. Dieser Entschluss kam selbst für seine näheren Bekannten völlig unerwartet. Am 13. Juli 1892 trat er zu Venlo in Holland in den Orden ein. Die Profess legte er am 28. August 1893 in Düsseldorf ab. Danach begann er ein zweijähriges Ergänzungsstudium zu Toulouse in Frankreich. Seit 1896 wirkte er schließlich im Dominikanerkloster St. Paulus zu Berlin. Die weiteren Stationen seines Lebens sind rasch aufgezählt: 1905 reiste er für zwei Jahre in die USA. Nach seiner Rückkehr 1907 wurde er Kuratus an St. Paulus. Kurze Zeit später wählte ihn das Provinzkapitel zu Köln zum Provinzial der deutschen Ordensprovinz. Es gelang ihm aber, die Wahl rückgängig zu machen. Er blieb Kuratus, bis ihm 1911 die Studentenseelsorge übertragen wurde.
P. Bonaventura war in ganz Deutschland als Prediger und Redner bekannt. Es ist unmöglich, alle Orte aufzuzählen, an denen er gewirkt hat. Höhepunkte seines Lebens waren die großen Reden auf dem Eucharistischen Kongress zu Wien 1912 und auf den Katholikentagen zu Bonn 1900, Mannheim 1902 und Metz 1913. Er wirkte bei vielen Volksmissionen mit. Die Missionen zu Luzern, Dubuque (USA) und an den Domen zu Köln, Münster und Würzburg sollen hier stellvertretend für die vielen stehen, die er gehalten hat. In der Schweiz war er durch zahlreiche Vorträge bekannt. Auch in Amerika hielt er viele Reden, Predigten und Konferenzen. 1906 übernahm er in zwei New Yorker Kirchen die Fastenpredigten. Beim 25jährigen Jubiläum des Zentralvereins deutsch-amerikanischer Katholiken hielt er 1905 in Cincinatti die Festansprache, die sofort in 50.000 Exemplaren verbreitet wurde.
Über seine Bedeutung als Redner und Prediger sollen hier einige Pressestimmen Auskunft geben: Schweizerische Kirchenzeitung 1903, Nr. 50, S. 442: „P. Bonaventura versteht es in meisterhafter Weise, den Tatsachen und Dogmen jene menschliche Seite abzugewinnen, die das volle Interesse der modernen gebildeten Welt zu wecken versteht. […] Der unverkürzte und unverhüllte Katholizismus trat uns im Geiste der Liebe und echter Toleranz, im Vollornat großer rhetorischer Kunst in diesen Tagen entgegen. Mächtig wirkte auch die ganze Art des Vortrages… P. Bonaventura ist ein Homilet und Apologet, der gerade der gebildeten Männerwelt gegenüber eine providentielle Mission hat, der es aber auch wieder versteht, das Denken und Empfinden der großen Massen zum Übernatürlichen zu erheben und zu einem sittlichen Leben im Geiste der Bergpredigt mächtig anzuregen.“
Neues Münchener Tageblatt 17.3.1907: „Die Vorträge waren eine Mittelgattung von Konferenzen und Missionspredigten. Von den Konferenzen hatten sie den feinen, von den Missionspredigten den populären Ton. Diese Abtönung trug mit bei zu ihrer Zugkraft. Vom Fabrikmädchen bis zur Königlichen Hoheit, vom einfachen Arbeiter bis zum Universitätsprofessor lauschten die Zuhörer in Masse gespannt auf die Worte des Heiles. […] Sachlich bot der hochwürdige Herr ja nichts Neues, nichts Oberragendes, nichts Urgewaltiges; aber er war modern, gut beschlagen in der modernen Literatur, verstand die moderne Zeit, ihre Wünsche, ihre Schwächen. […] Was den rhetorischen Gehalt der Vorträge angeht, so steht der hochw. Herr erhaben da über kleinliche Kritik. Er ist Meister. Er hat Charisma. […] Schade, dass seine Sprechorgane etwas ausgenützt sind; ein Ordensprediger kann sich eben nicht die Schonung auferlegen wie eine Opernberühmtheit.“
Generalanzeiger für Hamburg-Altona 28.10.1911: „Seine Gedanken, so kirchlich sie auch sind, passen in die Welt, sie gehen mit der Welt, sie bewegen sich in der Welt. Sie erfassen alle Bewegungen, die in der Welt draußen toben, gleichviel, ob sie sich um Kunst drehen, um Frauenrecht, um das Kind. Seine Ethik ist eine kirchliche und weltliche zugleich.“
Nationalzeitung 23.8.1913: Über den Katholikentag in Metz unter der Überschrift Der Antichrist: „Die große Heerschau der internationalen Papstkirche […] wäre nicht vollständig gewesen, wenn nicht zum Schluss der Antichrist den versammelten Gläubigen im schwärzesten Gewand der Hölle dargestellt worden wäre. […] In Metz […] hat […] der Dominikanerpater Bonaventura unstreitig die beste Rede zur Verherrlichung der katholischen Kirche und ihrer Lehren gehalten. […] (Die) formvollendete Sprache und der logische Aufbau, die rhetorische Schönheit und die geistreichen Gedanken lassen die Rede selbst dem der Kirche Fernstehenden als ein Kunstwerk erscheinen, an dem man seine ästhetische Freude haben kann. […] (P. Bonaventura) sparte nicht an vernichtenden Gründen, er ging dem Antichrist in dem gleißenden und schillernden Gewande der Verderbtheit mutig zu Leibe. […] Die äußere Hygiene des modernen Menschen, die verfeinernde Seifenkultur, der die Muskeln stärkende Sport sind dem Pater Bonaventura kein Gräuel – er vertritt nicht die Theorie der Zeloten, denen das Waschen des eigenen Körpers Sünde dünkt – aber er verlangt nebenbei die geistige Reinheit, Kultur der Seele, die christlich katholische Pflege des Menschen.“
Als Kuratus an St. Paulus zeigte P. Bonaventura, dass er ein Allround-Seelsorger im guten Sinne war. Er widmete sich den Arbeitern ebenso eifrig wie den Studenten und Akademikern und nahm sich auch mit großer Liebe der Kinder an. Er war geistlicher Leiter oder Berater von 26 Vereinen. Ganz besonders waren ihm die Jugend und sozialen Vereine ans Herz gewachsen. Als er bereits Studentenseelsorger war, leitete er immer noch den Verein christlicher Mütter. Mit hingebender Geduld widmete er sich der täglichen Kleinarbeit in seinem Pfarrbezirk. Er besuchte die Alten, Kranken und Armen, besorgte Wäsche für Täuflinge und bettelte Kleidung für Erstkommunionkinder hilfsbedürftiger Eltern zusammen. Geduldig stellte er sich den Problemen seiner Pfarrkinder im Sprechzimmer.
Von 1911 an war P. Bonaventura Studentenseelsorger. Er zog deshalb von St. Paulus zur Maria-Viktoria-Kapelle in der Karlstraße, die ebenso wie das zugehörige Krankenhaus von den Geldern erbaut worden war, die er in Amerika erbettelt hatte. Für das Amt des Studentenseelsorgers war er in besonderer Weise die richtige Persönlichkeit. Er war frei vom Misstrauen gegen alles Neue und Moderne, das bei manchen Priestern zu finden ist. Er besaß nicht nur ausgezeichnete Kenntnisse der Philosophie und Theologie, sondern auch ein umfassendes historisches und literarisches Wissen. Darüber hinaus interessierte er sich auch für die modernen Wissenschaften. Bis an sein Lebensende hatte er sich ein jugendliches Herz bewahrt. Er konnte die Studenten begeistern für die Kirche und für die Arbeit in Wissenschaft und Kunst.
Seine väterliche Liebe fand nicht nur Ausdruck in den vielen Vorträgen, Predigten, Exerzitien und Religiösen Wochen, die er in der Kapelle der Karlstraße oder des St. Hedwig-Krankenhauses hielt. Er sorgte für die Studenten auch in ihren materiellen Nöten, indem er mit dem Teller in der Hand vor seiner Kapelle für sie und den Akademischen Bonifatiusverein bettelte, Freitische ausfindig machte und den Albertus Magnus-Verein förderte, der bedürftigen Studenten Stipendien erteilte. Die Geschichte der Studentenseelsorge sieht in ihm einen der Bahnbrecher für diesen Zweig der Seelsorge.
P. Bonaventura war krebskrank. Die Predigten der letzten Lebensjahre zeigen, dass er seinen Tod kommen sah. Am 3. Mai 1914, einen Tag vor der Operation, schleppte er sich noch einmal todkrank auf die Kanzel, um seine letzte Predigt zu halten und sich von seinen Studenten zu verabschieden: „Ich kann nun nicht mehr für Sie sorgen. – Die Tage meiner Krankheit will ich für meine Studenten opfern. – Versprechen Sie mir, fleißig den Studentengottesdienst zu besuchen, auch wenn ich nicht mehr zu Ihnen sprechen kann.“ Als P. Bonaventura die Gewissheit hatte, dass nach menschlichem Ermessen keine Hoffnung mehr bestand, gesund zu werden, fand er sich gläubig und geduldig mit dieser Botschaft ab. Sein Beichtvater fragte ihn: „Ist alles gut?“ Er antwortete: „Ja, alles. Nun geht es heim zum lieben Gott – und zu meinem Mütterlein.“ Noch sein letztes Wort in diesem Leben galt der Sorge um seine Studenten. Er wollte, dass P. Franziskus Stratmann sein Nachfolger in der Studentenseelsorge werde. P. Provinzial Albert Kaufmann erfüllte diesen Wunsch. Als P. Prior Mannes Rings ihm die Nachricht bringen wollte, fragte er sogleich: „Haben Sie es erreicht?“ Nachdem er die erwartete Antwort erhalten hatte, rief er aus: „Gott sei Dank! Jetzt bin ich zufrieden.“
Zwei Tage vor seinem Tode wurde ihm eine besondere Freude zuteil. Er erhielt ein kurzes Handschreiben von Papst Pius X., das er dankbar an seine Lippen presste: „Von morgen an werden Wir Uns in der heiligen Messe seiner erinnern und den Herrn bitten für seine völlige Genesung, und Wir haben das Vertrauen, dass der Herr seinen Glauben und den aller, die seine Genesung wünschen, belohne. 8. Mai 1914 Pius P. P. X.“ P. Bonaventura starb am 12. Mai 1914 im Maria-Viktoria-Krankenhaus. Tag und Nacht hielten Studenten in der Krankenhauskapelle die Totenwache. Zu den Berliner Abordnungen gesellten sich bald Vertretungen aus Bonn und Freiburg. 12 000 Freunde begleiteten ihn zur letzten Ruhe auf dem St. Sebastiansfriedhof in Berlin-Reinickendorf. Der Trauerzug war 12 km lang. Zehntausende umsäumten die Straßen. Auf seinem schlichten Grabstein stehen die Worte: Dilexit ecclesiam – Er hat die Kirche geliebt!
P. Ulrich Kaiser
P. Ulrich stammt aus einem badischen Bauerngeschlecht, das ihm eine kernige und kraftvolle Gesundheit vererbte, die mit einer unermüdlichen Schaffenskraft verbunden war und die er bis in sein hohes Alter bewahrt hat. Er wurde als Anton Kaiser am 23. März 1880 zu Gommersdorf a.d. Jagst geboten. Nach seiner Schulzeit studierte er zwei Semester Philosophie und Jura an der Universität Würzburg. Am Schluss einer Volksmission, die P. Bonaventura Krotz 1901 im Würzburger Dom hielt, bat er um die Aufnahme in den Dominikanerorden und begann am 3. August zu Venlo das Noviziat. Nach dem Studium der Philosophie und Theologie in Venlo und Düsseldorf wurde er am 10. August 1908 in Köln zum Priester geweiht.
Am 28. August 1909 wurde er von Venlo, wo er kurze Zeit als Lehrer tätig war, nach Berlin versetzt. Hier sollte er schließlich ununterbrochen fast dreißig Jahre lang – bis zum 16. Januar 1939 – als Seelsorger wirken. Am 10. Mai 1910 wurde P. Ulrich zum Kaplan an St. Paulus ernannt – von 1912 bis 1915 half er in Maria-Viktoria aus – und am 10. Juni 1917 wurde er schließlich zum Kuratus dieses großen Pfarrbezirkes eingesetzt. Er übernahm eine lebendige und wohlgeordnete Gemeinde, die in den weiteren Jahren von seiner starken Persönlichkeit besonders geprägt wurde. Er war der geborene Pfarrer, und nicht ohne Grund nannte ihn der Volksmund bald den Kaiser von Moabit.
Die Kuratie St. Paulus war die größte Pfarrei Berlins. Zugleich gehörte sie zu den ärmsten Seelsorgebezirken. In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg war die Not hier besonders drückend. Inflation und Massenarbeitslosigkeit stürzten die Familien und viele alte Menschen ins Elend. In dieser Lage durfte sich der Pfarrer nicht mit der bloßen Seelsorge begnügen. Er musste nach Wegen suchen, den Hunger zu stillen und die Armut zu lindern. P. Ulrich widmete sich intensiv dieser Aufgabe. Er gründete Hilfsvereine und baute eine Sterbekasse auf, schuf Wärmestuben und richtete eine Volksküche ein. Er sorgte für Jugenderholungsplätze und organisierte Ferienverschickungen. Seine sozialen und caritativen Unternehmungen lassen sich hier kaum vollständig aufzählen.
Die Katholiken galten in Berlin damals als Fremdkörper. Man begegnete ihnen mit Ressentiments und Feindseligkeit. Deshalb war der Zusammenschluss der Gläubigen eine Hauptsorge für P. Ulrich. Er förderte die zahlreichen Vereine, die Heimat und Geborgenheit schenkten, und er kümmerte sich auch um alle möglichen Interessengruppen. Es gab Vereine für jung und alt, für Familien und Berufsstände, für Sport, Musik und religiöse Bildung. Besonders bedrückend war damals die Zahl der Kirchenaustritte. Aber auch diesem Problem gegenüber resignierte P. Ulrich nicht. Er suchte nach wirksamen Methoden für die nachgehende Seelsorge, d.h. zur Betreuung und Rückgewinnung abständiger und aus der Kirche ausgetretener Katholiken, und er aktivierte das Laienapostolat. Die von ihm in St. Paulus eingeführte Innere Mission, die Organisation planmäßiger Hausbesuche, machte Schule und beeinflusste viele andere Großstadtpfarreien.
P. Ulrich besaß ein feines Empfinden für moderne Seelsorgemethoden. Für alle Neuerungen, die dem Heil der Seelen förderlich sein können, hatte er ein offenes Ohr. P. Ulrich war ein beliebter Beichtvater und Seelenführer. Er war der Erste im Beichtstuhl, und er verließ ihn als Letzter. Mit unermüdlichem Eifer lernte er Fremdsprachen, um auch den zahlreichen Ausländern in Berlin, die besonders bei den Botschaften, Gesandtschaften und in einzelnen Kolonien lebten, die Beichte abnehmen zu können. Er sprach Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch. In dieser Hinsicht machte er St. Paulus zum religiösen Mittelpunkt der Stadt.
Mit größter Gewissenhaftigkeit und unverdrossenem Fleiß bereitete er sich auf die Predigten, Katechesen und Unterrichtsstunden vor. Von den ihm anvertrauten Kaplänen verlangte er die gleiche Sorgfalt, aber war auch sorgsam darauf bedacht, dass sie bei ihm nicht bloß arbeiten lernten, sondern auch durch die Teilnahme an Spezialkursen mit den Ergebnissen der modernen Pastoral vertraut wurden. Bei jeder Gelegenheit fand er ein tröstendes, ermunterndes und wegweisendes Wort, sei es als langjähriger Subprior im Kreise seiner Mitbrüder oder bei den vielen Anlässen, die die Pfarrseelsorge bot. Seine Predigten am Jahresende waren berühmt und fanden stets eine zum Bersten volle Kirche.
Um der Jugend von St. Paulus eine Erholungsstätte außerhalb der Großstadt bieten zu können, erwarb er ein großes Gelände in Schmachtenhagen. Später wurde dieses Grundstück wegen der weiten Entfernung von Berlin gegen ein Gelände in Friedrichshagen umgetauscht. Diese Stätte wurde ein Zentrum nicht nur für die Jugend von St. Paulus, sondern für die gesamte katholische Jugend Berlins. Neben mehreren Erholungsräumen baute er dort eine Kapelle, um das Grundstück auch für religiöse Einkehrtage benutzen zu können.
In der nationalsozialistischen Zeit setzte sich P. Ulrich mutig für seine Gemeinde ein. Im Jahre 1937 erhielt er eine Gefängnisstrafe, denn er hatte eine jüdische Mischehe ohne vorherige standesamtliche Eheschließung kirchlich getraut. Dem Paar, einem getauften Juden und einer Katholikin, war die Heirat durch die Behörden untersagt worden. Die kirchliche Trauung fand kurz vor dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze statt. Sonst hätte P. Ulrich, wie der Staatsanwalt ihm damals bescheinigte, wegen „Beihilfe zur Rassenschande“ eine Zuchthausstrafe erhalten. Infolge dieser Gefängnisstrafe wurde ihm verboten, weiterhin Schulunterricht zu erteilen.
Nach der Neugründung der süddeutschen Ordensprovinz nahm P. Ulrich Abschied von der Paulusgemeinde. 1939 wurde er Prior des Klosters zu Augsburg. Später erhielt er dieses Amt in Freiburg i.Br. Daneben arbeitete er – wie schon während seiner Berliner Zeit – bei vielen Volksmissionen mit. Er hielt zahlreiche Exerzitien und Einkehrtage. Von 1960 bis zu seinem Tod war er Hausgeistlicher bei den Dominikanerinnen in Bad Wörishofen.